Samstag, 31. Oktober 2009

31.10.2009: Videos des Tages

Unter den außerhalb Sankt Petersburgs gelegenen Residenzen nimmt Puschkin, das frühere Zarskoje Selo, wo sich im Katharinenpalast das (neue) Bernsteinzimmer befindet, eine herausragende Stellung ein. Desgleichen - zumindest im Sommer - Peterhof mit seinen berühmten Fontänen. Mir gefallen hingegen Schloß und Park von Pawlowsk am besten. Im klassizistischen Stil errichtet (dem ich mich ohnehin sehr verbunden fühle), ist Pawlowsk nicht so überlaufen wie die anderen Touristenmagneten, wovon die beiden heutigen Videos einen kleinen Eindruck vermitteln.







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Freitag, 30. Oktober 2009

Sicherheitspolitische Debatten in der RF

Auf (mindestens) einem Feld sind sich die USA und Rußland sehr ähnlich. Diskussionen, die - im weistesten Sinne - um die Themen Außenpolitik, Sicherheitspolitik und Militärwesen kreisen, finden eine breite Öffentlichkeit. Folglich existieren zahlreiche "Think-tanks" und selbständige Publikationen, die - natürlich in unterschiedlicher Qualität - dieses Bedürfnis nach öffentlicher Debatte zu befriedigen versuchen.
Dergleichen gibt es in Deutschland nicht. Neben staatlichen (z.B. SWP) oder indirekt vom Staat geförderten Publikationen und Einrichtungen (man denke insofern nur an alles, was über den Reservistenverband, die Parteistiftungen usw. läuft) gibt es nur noch die (oft ideologisch motivierte) Friedensbewegung mit ihren mehr oder weniger treffenden Analysen. Entsprechende Projekte, die nach dem 11. September auch an deutschen Universitäten aus dem Boden geschossen sind, haben es, soweit ich es überblicke, kaum geschafft, zu überleben.

Das ist in Rußland, wie gesagt, anders. Sicherheitspolitische Debatten werden mit einer Offenheit und Kontroversität geführt, wie ich sie in Deutschland bisweilen schmerzlich vermisse, wo es meist auf einen Gegensatz zwischen pazifistischen und "Die NATO ist toll"-Argumenten hinausläuft. Der soeben für die RF getätigte Befund paßt zwar nicht in das Bild der angeblich gleichgeschalteten Medien, die nur darauf warten, Putins Befehle auszuführen. Das Gegenteil ist der Fall, nicht nur bei dem hier behandelten Themenfeld. Als Beleg mag die heftige öffentliche Debatte um die seit etwas über einem Jahr laufende Militärreform dienen. Nachfolgend sollen die aus meiner Sicht wichtigsten Organisationen und Medien, die für diese Debatten eine Rolle spielen, vorgestellt werden.

1. Institutionen: Hier ist zuvörderst der Rat für Außen- und Verteidigungspolitik zu nennen, der recht offiziös daherkommt und in etwa mit der deutschen DGAP vergleichbar ist. Ferner das Zentrum für die Analyse von Strategie und Technologie, das Institut für politische und militärische Analyse, das Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der RAW, und das Institut für strategische Stabilität der Atombehörde Rosatom.
Dazu kommen noch kleinere, nur sporadisch sicherheitspolitische Fragen bearbeitende Denkfabriken sowie mehrere Lehr- und Forschungseinrichtungen des Verteidigungsministeriums und der öffentlichen Hochschulen.

2. Medien: Insoweit ist die Lage noch unübersichtlicher, denn zu den klassischen Medien kommen noch neue wie Internetzeitungen, Fachdiskussionsforen, Weblogs etc. hinzu.
In deutscher Sprache liefert RIA Nowosti täglich Nachrichten und Analysen zu sicherheitspolitischen Themen. Fast jede größere russische Zeitung verfügt über ein entsprechendes Ressort, stellvertretend sei hier die Netzzeitung Lenta.ru genannt.
Hinzu kommen spezialisierte Medien wie der Wojenno-promyschlennyj kurer, Arms-TASS, VPK.name und Oruzhie Rossii, deren Fokus auf der Rüstungsindstrie liegt. Die Webseite VKO.ru hingegen widmet sich exklusiv der Luftverteidigung.
Eine Sonderstellung nimmt die zur als liberal geltenden Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta gehörende Wochenschrift Nesavissimoje Wojennoje Obosrenije ein. Sie berichtet regelmäßig und kompetetent aus allen Bereichen der Sicherheitspolitik, der Armee, der Nachrichtendienste, der Militärgeschichte usw. und ist m.E. derzeit das beste Medium auf dem Markt.
Nicht vergessen sollte man auch die Zeitschriften des Verteidigungsministeriums wie Wojennaja Mysl, das Wojenno-Istoritscheskij Zhurnal oder Wojennyj Diplomat. Desweiteren sollten die hier bereits vorgestellten Magazine nicht vergessen werden.
In englischer Sprache sind schließlich Russia in Global Affairs (eine Gemeinschaftsarbeit mit Foreign Affairs), der Moscow Defense Brief sowie die Dienste von Interfax zu erwähnen.

Und warum schreibt der Krenkel das jetzt? Ganz einfach: Dieser Tage bin ich auf ein Radioprojekt namens Westi-Arsenal gestoßen, welches eine der o.g. Denkfabriken betreibt. In den wöchentlichen Sendungen werden die unterschiedlichsten Themen behandelt. Am 26.10.2008 waren das z.B. die letzten Entwicklungen bei Handfeuerwaffen (siehe auch hier).
Aprospos Radio. Auf den meisten Fernsehkanälen in der RF laufen - ähnlich den US-Produktionen auf N24 - regelmäßig Reportagen über militärische Themen. Die bekanntesten dürften Udarnaja Sila und Wojennoje Delo sein - und viele Folgen sind auch bei Youtube & Co. zu finden.




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Samstag, 24. Oktober 2009

24.10.2009: Video des Tages

Heute wird in Rußland der "Tag der Spezialeinheiten", der "Spetsnaz", begangen. Wie die meisten anderen Waffengattungen, so haben auch ihre Angehörigen einen eigenen Ehrentag. Anläßlich dessen nachfolgend ein kleines Video aus dem Hause Bratischka.
Sa Was, sa nas i sa Spetsnaz! ;-)



Freitag, 23. Oktober 2009

Ostalgie ;-)


Es gehört zu den positiveren Hinterlassenschaften der DDR an das geeinte Deutschland, daß in ihr - gewissermaßen zwangsläufig - die Beschäftigung mit osteuropäischer Kunst und Literatur besonders gefördert wurde. So wurden etwa unzählige Bücher aus der Sowjetunion und anderen Mitgliedsstaaten von Warschauer Vertrag und RGW ins Deutsche übersetzt. Wie es sich gehört, waren darunter auch zahlreiche Berichte über den Zweiten Weltkrieg. Der Militärverlag hat solche u.a. in einer losen Reihe herausgebracht, wobei allein das Layout ein verbindendes Element darstellt (siehe Bilder). In ostdeutschen Antiquariaten sind diese Bücher meist zahlreich vertreten und preiswert erhältlich.

Mit der Auswahl sollte man jedoch vorsichtig sein. Denn einige dieser Schriften, insbesondere, wenn sie aus der SU stammen, sind schwer verdaulich. Entstanden noch vor Glasnost und Perestroika, war es für die sowjetischen Autoren nach wie vor selbstverständlich, die führende Rolle der Kommunistischen Partei zu betonen und in ideologischen Phrasen zu schwelgen. Selbst der große Heerführer Georgij Schukow, dessen zweibändige Memoiren mit dem einfallslosen deutschen Titel "Erinnerungen und Gedanken" (frei nach Bismarck ;-)) die bekanntesten in der hier vorzustellenden Reihe sind, ist (leider) nicht frei davon. So bleibt etwa der Bericht über die Schlacht von Chalchin Gol sehr abstrakt, kommt aber ohne den obligatorischen Kotau vor der Partei nicht aus.

Zwei weitere sowjetische Titel, die m.E. zu den lesenswerteren zählen, sind Viktor N. Leonow: "Auf Vorposten am Nordmeer" und Marina P. Tschetschnewa: "Der Himmel bleibt unser". Leonow berichtet von seinen Einsätzen als Aufklärer der Marineinfanterie an der Front vor Murmansk, in Norwegen und - 1945 - in Korea. Tschetschnewa war Pilotin in einem (nur aus Soldatinnen bestehenden) Nachtbomberregiment (vgl. auch hier und hier). Sie schildert ausführlich ihren Werdegang von den 1930er Jahren bis in die 50er Jahre hinein.



Meine persönlichen Favoriten stammen allerdings nicht aus der UdSSR, sondern aus Ungarn und Bulgarien: erstens Sandor Rado: "Dora meldet" und zweitens Elena u. Dobri Dshurow: "Operationsbasis Murgasch - Partisanen in den Wäldern des Balkans".
Beide Bücher sind spannend geschrieben und lesen sich wie Agentenromane, nur daß ihr Inhalt großteils der Realität entsprechen dürfte. Rado war als Agent des sowjetischen Militärnachrichtendienstes in der Schweiz eingesetzt und u.a. für die Gruppe "Rote Kapelle" zuständig. Sein Leben hat mich schon als Schüler fasziniert, beschreibt er doch, wie er - als überzeugter Kommunist! - in der Schweiz zu einem erfolgreichen Geschäftsmann geworden ist. ;-)
Die Dshurows schreiben ebenfalls eine sehr anschauliche Lebensgeschichte. Vom Leben im Bulgarien der Zwischenkriegszeit, vom Beginn ihrer politischen Tätigkeit, dann dem Weg in den Untergrund und dem zwiespältigen Leben als Partisan.

Das besondere an beiden Titeln ist, daß ihre Autoren zugeben, ein eigenes Leben jenseits der Kommunistischen Partei zu führen. Sie hatten natürlich auch persönliche Gedanken, Ideen und Emotionen - und teilen diese ihren Lesern mit. Das macht die Bücher lebensnah und authentisch, denn viele sowjetische Autoren haben ja so getan, als sei das Aufgehen des Einzelnen in der Gemeinschaft das höchste der Gefühle und haben ihre Schriften dementsprechend mit den üblichen ideologischen Phrasen verunstaltet. Doch in Ungarn und Bulgarien war man insofern wohl schon immer etwas anders. Natürlich waren auch Rado und die Dshurows Kommunisten, allerdings keineswegs in jenem doktrinären Sinn der späten Sowjetunion. Das macht ihre Autobiographien auch heute noch in zweifacher Hinsicht interessant: einmal als Berichte über den 2. WK, zum anderen als Dokumente über den Zeitgeist während der kommunistischen Ära in Osteuropa.


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Samstag, 17. Oktober 2009

17.10.2009: Videos des Tages

Die folgende Dokumentation stellt unter dem Titel "Trofej" (dt.: Trophäen) Waffen und Gerät der georgischen Armee vor, die während des Südossetienkrieges im August 2008 von den russischen und südossetischen Streitkräften erbeutet worden sind.












Sonntag, 11. Oktober 2009

Das Laboratorium der Moderne

Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel hat 1988, kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, ein Buch vorgelegt, das sich fast schon als prophetisch erwiesen hat und im Frühjahr 2009 endlich auch als Taschenbuch erschienen ist. In „Petersburg – Das Laboratorium der Moderne 1909-1921“ beschreibt er die Entwicklung der Residenzstadt des Zarenreiches hin zu einer bürgerlichen Metropole. Diese Epoche hat mit als Vorlage für jene Wiederkehr der zeitweilig Leningrad geheißenen Stadt gedient, die sich in den letzten Jahren vollzogen hat – von der im Schatten Moskaus stehenden Provinz – hin zu einer Weltstadt aus eigenem Recht.

Wie für das gesamte Russische Reich, so waren auch für Sankt Petersburg die Jahre nach 1861 geprägt von einer stürmischen Entwicklung. Bauernbefreiung und zunehmende Industrialisierung führten zwangsläufig zu einer stärkeren Urbanisierung. Damit begann die Herausbildung eines Bürgertums, welches maßgeblich durch Industrielle und Geschäftsleute geprägt war und nicht so recht in das überkommene Schema der bäuerlichen Autokratie passen wollte. Es dürfte klar sein, daß solch eine rasante Entwicklung immer zu Konflikten und Paradoxien führen muß.
In seinem Werk gelingt es Schlögel, dies an mehreren Fallbeispielen aus der Stadtgeschichte St. Petersburgs nachzuzeichnen. Sei es der Streit um den richtigen Baustil für die Stadt (Jugendstil, Neoklassizismus, altrussischer Stil), ein Querschnitt durch die disparate Intelligentsia oder biographische Skizzen von Kaufleuten, Politikern und Künstlern.
Diese Großstadt als Laboratorium der Moderne war spannend und vielschichtig – und wird von Schlögel auch so geschildert. Um so mehr, als Petersburg während dieser Zeit im Zentrum des Weltgeschehens lag – man denke nur an die Revolutionen von 1917 –, bevor es danach zur Peripherie der Sowjetunion wurde.




Es ist genau diese Epoche des Aufbruchs, der Modernisierung, der – im positiven Sinne – Verbürgerlichung, die heute in Rußland so viel Interesse hervorruft. Nachdem die Blütenträume eines kommunistischen Himmels auf Erden zerplatzt sind und sich eine allzu starke Anknüpfung an das Zarenreich aus verschiedenen Gründen verbietet (z.B. wegen seiner notorischen Reformunfähigkeit), sind es die Industriellen, Geschäftsleute, Ingenieure und Intellektuellen des frühen 20. Jahrhunderts, an denen sich die seit einigen Jahren entstehende Mittelschicht auf ihrer Suche nach historischen Vorbildern orientiert. Gefragt ist heute – auch unter Studenten – nicht mehr der große Gestus, der im Dunst einer verrauchten Hinterhausküche verkündete Aufruf zu einer Revolution, sondern das praktische und tatkräftige Wirken im Hier und Jetzt. Ausdruck dieser Tendenz ist auch die Wahl des einstigen Ministerpräsidenten Stolypin zum „zweitgrößten Russen der Geschichte“ im Dezember 2008. Heute hat der Geist der „Wechi“ Konjunktur, nicht jedoch irgendwelche abgehobenen Diskurse unter Intellektuellen (was letztere oft betrübt).

Und es sind, nebenbei bemerkt, mit Medwedew und Putin zwei maßgebliche Politiker in der RF, die genau diese Tendenzen erheblich befördert haben. Hatten Schulkinder zu Jelzins Regierungszeit noch angegeben, ihr größter Berufswunsch sei Bandit (Jungen) bzw. Prostituierte (Mädchen), so stehen heutzutage gutbürgerliche Berufe (wieder) weitaus höher in der Gunst. Ich persönlich halte dies für ein Zeichen der zunehmenden Gesundung Rußlands.

Doch jetzt zurück zu Schlögels Buch. Die rund 630 Seiten sind natürlich nicht in einem Zug zu lesen. Dafür eröffnet sich durch die sinnvolle Kapitelgliederung die Möglichkeit, den Text in leichter „verdaubaren“ Portionen zu genießen. Wie bei dem Autor üblich, ist das Niveau der Argumentation und der dargelegten Fakten sehr hoch. Und es eröffnet – ebenso wie das Standardwerk von Orlando Figes – den Einblick in eine der prägendsten Epochen der russischen Geschichte, die aus den o.g. Gründen heute für das Selbstverständnis der russischen Gesellschaft wichtiger geworden ist als die jahrzehntelang mystifizierte Oktoberrevolution.




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Mittwoch, 7. Oktober 2009

Izhmash ist nicht pleite


Seit dem 21. September bewegte eine Hiobsbotschaft die Waffenszene: Izhmash, bekanntester Hersteller von Handfeuerwaffen in Rußland und Arbeitgeber von Michail Kalaschnikow, soll bankrott sein. In den seriösen russischen Medien las sich das damals schon sehr zurückhaltend, war und ist der Fall doch ziemlich myteriös (dazu gleich mehr). Doch die Boulevardpresse - etwa die englische Ausgabe von Pravda.ru - hat das ganze aufgegriffen und entstellt (Izhmash habe angeblich selbst einen Insolvenzantrag gestellt, was unzutreffend ist, s.u.). Auch deutsche und amerikanische Medien sind darauf angesprungen und so hat die Hiobsbotschaft denn auch ihren Weg in die Waffenforen und -blogs gefunden.

Fakt ist folgendes: Am 21.09.2009 wurde berichtet, daß eine Firma namens "Gremikha GmbH" beim für Wirtschafts- und Handelssachen zuständigen Arbitragericht der Republik Udmurtien beantragt habe, die "Izhmash AG" für insolvent zu erklären. Weitere Hintergründe waren und sind jedoch nicht bekannt. Möglicherweise war bzw. ist Gremikha ein Gläubiger von Izhmash, der auf diese Weise seine Außenstände eintreiben wollte. Als Gerichtstermin wurde der 07.10. angesetzt und so hat sich gestern das Gericht mit dem Fall befaßt. Ergebnis: Dem Antrag wird nicht stattgegeben. Izhmash ist nicht zahlungsunfähig und kann somit seinen Geschäftsbetrieb ganz normal fortsetzen.
Eine erfreuliche Nachricht!

Es ist nach wie vor nicht ganz klar, was diese ominöse Firma Gremikha eigentlich ist bzw. wer hinter ihr steht und ob sie überhaupt Geschäftsbeziehungen zu Izhmash unterhalten hat. Letzteres wird von der Ischewsker Waffenschmiede nämlich bestritten. Das Management hat in einer Pressemitteilung vom 23.09. jedoch angedeutet, daß es um Kreditgeschäfte gehen könnte.

Möglicherweise war das auch "nur" der - letztlich gescheiterte - Versuch einer eiskalten Unternehmensübernahme, wie sie seit einigen Jahren in Rußland leider in Mode gekommen sind. Dabei werden von dubiosen "Gläubigern" oder "Käufern" Gerichtsverfahren gegen Unternehmen angestrengt, in denen dann plötzlich geschickt gefälschte Dolumente präsentiert werden, mit deren Hilfe man die beklagte Firma dann irgendwie übernehmen will. Aber offenbar arbeiten die Gerichte mittlerweile effektiver und erkennen solche Spielchen.

Besonders aussichtsreich dürfte diese Masche bei Izhmash ohnehin nie gewesen sein, gehören doch 57,01 % der Föderation (via RosTechnologii) und weitere 10,88 % der Republik Udmurtien. Die gesellschaftsrechtliche Konstruktion ist allerdings nicht leicht zu durchschauen: Es gibt einerseits die jetzt beklagte Izhmash AG und außerdem einen "Izhmash Konzern", dem wiederum 11,55 % der Aktien der AG gehören. Außerdem fungiert die Izhmash AG - wie hier schon einmal berichtet - als Leitbetrieb für alle rußländischen Hersteller von Handfeuerwaffen, sofern der Staat bei ihnen Anteilseigner ist. Dazu zählen dann auch Izhmekh (Baikal), Molot u.a.

Apropos Molot: Die scheinen tatsächlich in Schwierigkeiten zu stecken. Im April war es schon ernst, doch seit ein paar Wochen ist sogar die Webseite der Firma offline. Gibt es sie überhaupt noch?

Als wäre das alles informationsmäßig nicht schlimm genug, ist auch noch eine der wichtigsten Informationsquellen über die russische "Waffenszene", das Forum Talk.guns.ru (mitsamt den angeschlossenen Seiten unter guns.ru) seit Tagen nicht zu erreichen, so daß ich insofern keine weitergehenden Informationen habe. :-(


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Foto des Izhmasch-Gebäudes: www.izvestiaur.ru

Montag, 5. Oktober 2009

Meister des Sports


Nachdem ich im Frühjahr eine Match-LP erworben hatte, begann ich, mich für die "klassischen" Kurzwaffendisziplinen zu interessieren und nach einem entsprechenden Lehrbuch zu suchen. Durch Wolfgang Nitschs Buch über die Geschichte von Faustfeuerwaffen bin ich auf einen mir bis dahin unbekannten sowjetischen Sportschützen und Autor aufmerksam geworden, der in den 1950er und 60er Jahren weltweit bekannt war, heute jedoch in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Die Rede ist von Lew M. Weinstein.

Er wurde am 12.03.1916 in Jekaterinburg geboren. Wie die meisten seiner Altersgenossen war er in den Kriegsjahren Angehöriger der Roten Armee und blieb es auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges, dann jedoch als Leistungssportler. Zuletzt trug er den Rang eines Majors a.D. (das nebenstehende Bild zeigt ihn in Offiziersuniform). Wie sein Nachname schon verrät, war er Jude. Trotzdem scheint er es irgendwie geschafft zu haben, die in der späten Stalin-Zeit einsetzende Judenverfolgung, bei der viele jüdische Sowjetbürger ihre Stellungen verloren, zu überstehen.
1952 wurde Weinstein bei den Olympischen Sommerspielen in Helsinki im wahrsten Sinne des Wortes zum "Shooting Star" der Schießsportszene: Fünfter mit der Freien Pistole auf 50 m und Dritter mit dem Freien Gewehr auf 300 m. Diese Bronzemedaille hat er als totaler Außenseiter gewonnen, war er doch vor allem ein ambitionierter Kurzwaffenschütze. Damit zeigt sich, daß man durchaus auf beiden Feldern hervorragende Ergebnisse erbringen kann. Vielleicht war er aber auch nur ein Ausnahmeschütze. ;-) Außerdem hat er mehrere Welt- und Europameistertitel errungen und hielt fünf Weltrekorde, zwei Europarekorde sowie 32 UdSSR-Rekorde.

Später hat Weinstein als Trainer im Zentralen Armeesportklub (Abk.: ZSKA) in Moskau gearbeitet und dort zahlreiche Kurzwaffenschützen ausgebildet. 1962 wurde ihm der Ehrentitel "Verdienter Trainer der UdSSR" verliehen. Zuvor hatte er bereits den Schießsportabteilungen der (Armee-)Sportklubs "Dynamo" in Tiflis (1946-1950), Leningrad (1950-1953) und Moskau (1953-1955) angehört.
Er war noch bis ins hohe Alter rege, sein letztes Buch stammt aus dem Jahr 1998. Am 25.12.2004 ist Lew Weinstein, im 89. Lebensjahr stehend, gestorben. Noch heute erinnern sich seine Schüler dankbar an ihn.

Im Jahre 1956 hat er ein kleines Lehrbuch für Kurzwaffenschützen geschrieben, in dem er seine Erfahrungen resümiert und viele Tips gibt. Aufgrund von Weinsteins Erfolgen hat das Werk auch international Beachtung gefunden. Da es damals zwei deutsche Staaten gab, erschien dieses Buch sogar zweimal in deutscher Sprache. Zum einen in der DDR mit dem Titel "Sportschießen mit Pistole und Revolver" (Berlin 1960) und zum anderen in der BRD als "Sportliches Schießen mit Faustfeuerwaffen" (hrsg. vom Deutschen Schützenbund). Die DDR-Ausgabe ist antiquarisch nur schwer zu bekommen, weshalb ich derzeit nur die westdeutsche besitze (3. Aufl., o.O. o.J. - vermutlich Wiesbaden um 1960).
Es wäre sicher interessant, beide miteinander zu vergleichen. In dem mir vorliegenden Exemplar wird als Übersetzer ein Johannes Schulz aus Berlin genannt. Fragt sich nur, ob Ost- oder West-Berlin. Nicht, daß es sich bei beiden Büchern um denselben Übersetzer handelt ... Es wäre nicht die erste Überraschung aus unsere jüngeren Vergangenheit. ;-)

Weinsteins Büchlein ist aus meiner Sicht sehr instruktiv und anschaulich geschrieben. Kurzum: Man kann daraus viel lernen und ich komme damit gut klar. Letzteres könnte natürlich auch daran liegen, daß ich mit dem historischen und kulturellen Kontext, in dem der Text entstanden ist (nämlich dem Leben in der Sowjetunion) ein wenig vertraut bin. Ein Leser, dem dieses Hintergrundwissen fehlt, hätte möglicherweise Schwierigkeiten.

Zum Inhalt: Alle wichtigen Punkte wie Schießtechnik, Wettkampfvorbereitung und Waffentechnik werden (für den Normalgebrauch) erschöpfend behandelt. Das Buch ist natürlich auf die UIT-/ISSF-Disziplinen jener Jahre zugeschnitten. Dies merkt man z.B., wenn die Vor- und Nachteile der Pistole TT-33 und des Nagant-Revolvers erläutert werden. Es dürfte die Vorstellungskraft vieler "Löchlestanzer" übersteigen, daß mit solch "bösen" Großkaliberwaffen einmal Weltmeisterschaften und Olympische Spiele bestritten worden sind.



Ein zweites Buch, welches einen ähnlichen Hintergrund aufweist, ist "Sportschießen" von Alexander A. Jurjew (Moskau 1962, dt. Übersetzung: Berlin 1967), worauf mich freundlicherweise Ulrich Eichstädt hingewiesen hat. Von diesem Titel ist mir in deutscher Sprache nur die genannte DDR-Ausgabe bekannt. Jurjews Fokus liegt auf dem sportlichen Gewehrschießen, weshalb sein Text eine gute Ergänzung zu Weinstein darstellt. An das Niveau von Weinstein reicht er jedoch m.E. nicht heran; schon rein sprachlich klingt vieles sehr sowjetisch-technokratisch und ist insofern typisch. Das Lesen fällt somit nicht immer leicht.

Inhaltlich wird großes Gewicht auf die Schießtechnik und Wettkampftaktik gelegt. Dabei geht Jurjew sehr akribisch vor und analysiert z.B. die Stellung der Knochen im menschlichen Körper bei jeder Anschlagsart. Auch sonst fließen Erkennntnisse der Sportmedizin sehr häufig in den Text ein. Inwieweit das hilfreich ist, sei hier einmal infragegestellt. Seit ich Jurjews Buch kenne, habe ich jedenfalls deutlich öfter Rückenschmerzen als vorher. ;-)

Nichtsdestotrotz kann man auch aus Jurjews Buch viel mitnehmen, vor allem, weil es aus einer Zeit stammt, als Sportwaffen noch nicht wie orthopädische Gehhilfen ausgesehen haben. ;-) Es scheint sich jedoch eher an Trainer zu richten, während man sich als (unter-)durchschnittlicher Normalschütze von Weinsteins Buch ein wenig besser angesprochen fühlt. Beide Titel sind heute nur noch antiquarisch erhältlich, wobei ich vor einiger Zeit die Webseite eines Waffenhändlers gesehen habe, der noch neue Exemplare von Weinsteins Buch hatte. Wer Russisch spricht, könnte sich auch an diesem Text versuchen.



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Freitag, 2. Oktober 2009

02.10.2009: Video des Tages

Das folgende Video beschäftigt sich mit Rußlands Rolle im internationalen Waffenhandel. Es stammt zwar bereits aus dem Februar 2009 und ist somit nicht mehr ganz aktuell, dennoch erscheint es mir sehenswert.




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