Sonntag, 27. Dezember 2009

27.12.2009: Video des Tages

Den heutigen "Tag des Retters" möchte ich zum Anlaß nehmen, meinen Kollegen aus dem Katastrophenschutzministerium der RF zu gratulieren. Die dort arbeitenden Profis sind während des Elbehochwassers 2002 auch in Deutschland zum Einsatz gekommen (ebenso wie übrigens Kräfte der Schweizer Armee).
Und im Vergleich zur zersplitterten Struktur des deutschen Bevölkerungsschutzes ist man in Rußland viel schlagkräftiger; während wir noch versucht haben, aus kleinen uns bisweilen disziplinlosen Dorffeuerwehren taktische Verbände zu formieren, wurden aus Moskau bereits Pumpen und Amphibienfahrzeuge inklusive Mannschaft eingeflogen. Insofern stimmt die alte Losung: Von Rußland lernen, heißt siegen lernen! ;-) Das dort in den letzten Jahren geschaffene Gesamtsystem für den Bevölkerungsschutz ist dem deutschen haushoch überlegen.
Nun denn, Kameraden: S prasdnikom! :-)



Sonntag, 20. Dezember 2009

Im Morgengrauen ist es noch still

In den vergangenen zwei Wochen war es mir möglich, die Neuverfilmung des Klassikers „A sori sdes tichie“ (dt. Titel: Im Morgengrauen ist es noch still) anzusehen. Der Roman von Boris Wassiljew war erstmals im Jahre 1972 verfilmt worden, damals in zwei Teilen mit Spielfilmlänge. 2005 wurde dann eine chinesisch-russische Koproduktion in Angriff genommen, die aus fernsehgerechten zwölf Teilen à 45 Minuten besteht.

Zur Handlung: Ein karelisches Dorf im Frühjahr und Sommer 1942; am Ortsrand befindet sich eine Flakstellung, die von einer Besatzung aus jungen Soldatinnen neu bemannt wird. Das bringt für den Ortskommandanten, einen altgedienten Hauptfeldwebel, allerlei Herausforderungen. Zudem sind die weiblichen Kanoniere nicht unbedingt die besten Soldaten und möchten ihr Kriegshandwerk auf die Flugabwehr beschränken. Wozu muß man als „Senitschik“ mit einem Gewehr umgehen können? Beide Filme berichten von den Anpassungsproblemen der vielen jungen Frauen, die sich nach Kriegsbeginn 1941 in der Sowjetunion zu den Fahnen gemeldet hatten. (Man könnte es auch nennen: Das Problem des Erwachsenwerdens. ;-)) Andererseits wird der alte Soldat durch den Umgang mit den jungen Frauen zwangsläufig ein wenig „ziviler“ - in welcher rein männlichen Kaserne würde er z.B. vor dem Eintreten anklopfen?




Der spannende Teil kommt freilich in der zweiten Hälfte: In der Nähe des Dorfes wird per Fallschirm ein deutscher Kommandotrupp abgesetzt. Dessen Absichten bleiben unklar, aber ein kleiner Trupp, bestehend aus dem Kommandanten und fünf Soldatinnen, nimmt die Verfolgung auf. Zunächst geht es durch ein Moorgebiet und danach durch die typisch nordischen Waldgebiete. Als sich allerdings herausstellt, daß die Deutschen etwa um das dreifache überlegen sind, beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen beiden Seiten. Die Sowjets versuchen, einem Gefecht auszuweichen, aber trotzdem nicht die Fühlung zu verlieren.

Eine Soldatin wird zurück ins Dorf geschickt, um Verstärkung zu holen. Leider verliert sie die Orientierung und kommt im Moor um, nur wenige Meter vom rettenden Ufer entfernt. Eine zweite läuft, unter Zurücklassung ihres Gewehrs, durch den Wald, um einen zurückgelassenen Tabakbeutel zu holen. Auch sie kehrt von ihrem „Ausflug“ nicht lebend zurück, sondern fällt im Nahkampf. Eine dritte ist der Belastung psychisch nicht gewachsen, wirft plötzlich ihr Gewehr weg und versucht, mitten durch das Lager der Deutschen hindurch, zu fliehen. Ebenfalls tot. Für das große Gefecht bleiben also nur noch drei Mann übrig – und die schlagen sich bravourös. Doch am Ende wird es auf seiten der Sowjets nur einen, natürlich verwundeten Überlebenden geben: den Hauptfeldwebel.




Insgesamt eine berührende Geschichte, die auch zum Nachdenken anregt. Wie kam es zu diesem hohen Blutzoll? Wohl vor allem durch den Mangel an Ausbildung und Vorbereitung, der durch guten Willen (und Ideologie) allein nicht zu ersetzen ist. Wie orientiert man sich im Gelände? Wie verhält man sich, wenn unmittelbar mit Feindberührung zu rechnen ist? Mitten im Krieg gelten auch für Studentinnen andere Regeln als im tiefsten Frieden an der Uni.

Wenn man sowohl die klassische sowjetische Verfilmung als auch die neue chinesisch-russische gesehen hat, erhebt sich naturgemäß die Frage, welche besser gefällt. Ich bin geneigt zu sagen: die jüngere. Zwar hat der Klassiker für sich, daß er die Handlung etwas kompakter und stringenter darstellt. Doch die Neuverfilmung geht stärker ins Detail, und stellt auch Nebenaspekte dar, was natürlich den Unterhaltungswert steigert. Dafür fehlt ihr der Appell an den Patriotismus der Jugend, welcher in der SU-Fassung stark ist (was m.E. allerdings keinen Minuspunkt darstellt). Und man merkt, daß sie vornehmlich für ein asiatisches Publikum gedacht ist (Wassiljews Buch genießt ich China wohl Kultstatus), denn manche Szenen wirken auf einen Europäer einfach nur komisch.




Erheblich kritisieren muß man freilich die in der Neuverfilmung verwendete Waffentechnik, bei der es das chinesische Fernsehen nicht so genau genommen hat. Daß sowjetischerseits bereits Mosin-Nagant-Karabiner M 1944 geführt werden, könne man vielleicht noch entschuldigen. Aber daß den Deutschen anstatt der MP 40 amerikanische M 3 „Grease Guns“ in die Hand gedrückt werden, ist unverzeihlich. Von weiteren Uniform- und Ausrüstungsdetails der deutschen Seite will ich jetzt gar nicht erst reden. Zudem ist es lächerlich, wie aus einem ordinären Karabiner mittels eines offenkundigen Billig-Zielfernrohrs, das auf die Kimme montiert wird, ein Scharfschützengewehr gemacht werden soll – ohne Einschießen natürlich.

Dennoch lohnt es sich, beide Filme anzusehen, zumal es die Erstverfilmung auch in deutscher Sprache gibt. Ich halte beide für mit die besten Kriegsfilme sowjetischer bzw. russischer Provenienz, denn sie verfügen über eine gute Mischung aus nachdenklichen und Action-Szenen. Die Erstverfilmung ist online auch mit englischen Untertiteln greifbar (Teil 1 beginnt hier, Teil 2 hier); die Neufassung kann man z.B. hier erwerben.
Die ersten beiden Videos in diesem Beitrag stammen aus dem 72er Film, die beiden letzten aus der neuen Serie.




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Dienstag, 15. Dezember 2009

15.12.2009: Gedicht des Tages



Heute: Der "Linke Marsch" und darin Wladimir Majakowskijs Ode an die Pistole C-96. Hätte er dieses Gedicht nicht geschrieben, wäre der "Schreihals der Revolution" heute wohl weithin in Vergessenheit geraten. ;-)
"Entrollt euren Marsch, Burschen von Bord!
Schluß mit dem Zank und Gezauder.
Still da, ihr Redner!
Du
hast das Wort,
rede, Genosse Mauser!

Brecht das Gesetz aus Adams Zeiten.
Gaul Geschichte, du hinkst ...
Woll'n den Schinder zu Schanden reiten.
Links!
Links!
Links!

Blaujacken, he!
Wann greift ihr an?
Fürchtet ihr Ozeanstürme?!
Wurden im Hafen euch eurem Kahn
rostig die Panzertürme?
Laßt
den britischen Löwen brüllen –
zahnlosfletschende Sphinx.
Keiner zwingt die Kommune zu Willen.
Links!
Links!
Links!

Dort
hinter finsterschwerem Gebirg
liegt das Land der Sonne brach.
Quer durch die Not
und Elendsbezirk
stampft euren Schritt millionenfach!
Droht die gemietete Bande
Mit stählerner Brandung rings, -
Russland trotzt der Entente
Links!
Links!
Links!

Seeadleraug' sollte verfehlen?!
Altes sollte uns blenden?
Kräftig
der Welt ran an die Kehle,
mit proletarischen Händen.
Wie ihr kühn ins Gefecht saust!
Himmel, sei flaggenbeschwingt!
He, wer schreitet dort rechts raus?
Links!
Links!
Links!"

Weiterführende Links:
Bericht über das Moskauer Majakowskij-Museum (dt.)

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Sonntag, 13. Dezember 2009

Partisanen vom Amur



Es ist eines der bekanntesten roten Lieder aus dem russischen Bürgerkrieg, das nicht nur in viele Sprachen übersetzt, sondern - mit geändertem "weißem" Text - von den ehemaligen Gegnern der Roten im Ausland gesungen wurde: "Partisanen vom Amur". Den deutschen Text sollte jeder in der früheren DDR aufgewachsene noch heute kennen ;-):
"Durch's Gebirge, durch die Steppen zog
Unsre kühne Division
Hin zur Küste dieser weißen,
Heiß umstrittenen Bastion.

Rot vom Blut, wie unsere Fahne,
War das Zeug, doch treu dem Schwur,
Stürmten wir die Eskadronen,
Partisanen vom Amur.

Kampf und Ruhm und bittere Jahre!
Ewig bleibt im Ohr der Klang,
Das Hurra der Partisanen,
Als der Sturm auf Spassk gelang.

Klingt es auch wie eine Sage,
Kann es doch kein Märchen sein:
Wolotschajewska genommen!
Rotarmisten zogen ein.

Und so jagten wir zum Teufel
General und Ataman.
Unser Feldzug fand sein Ende
Erst am Stillen Ozean."



Hinsichtlich des historischen Hintergrundes dieses Liedes war ich bis dato skeptisch, schließlich ist wohlbekannt, wie freizügig die Sowjets bisweilen im "Erfinden" von Traditionen und in der Pflege derselben waren. Doch in der vergangenen Woche ist mir ein Artikel im Heft 10/2009 des Wojenno-Istoritscheskij Shurnal (dt.: Militärhistorische Zeitschrift) aufgefallen. Mit seiner Abhandlung "Die Rolle der Partisanenbewegung im Kampf gegen die japanische Intervention im Fernen Osten in den Jahren 1918 bis 1920" unternimmt es der Autor W. G. Chitryj, die im russischen Originaltext noch stärker als in der deutschen Übersetzung besungenen Partisanen aus ihrer weihevollen Anonymität zu holen und mit Leben zu erfüllen.



Wir schreiben das Jahr 1918. Seit Herbst 1917 befinden sich erste amerikanische Truppen in Wladiwostok, die seit Frühjahr 1918 durch japanische Kontingente verstärkt werden. Letztere beschränken sich allerdings nicht mit der Herrschaft über die Hafenstadt, sondern stoßen entlang der Transsibirischen Eisenbahn weit Richtung Westen bis zum Baikalsee vor. Das offizielle politische Ziel der Intervention bestand in der Unterstützung der Weißen im russischen Bürgerkrieg (insbesondere von Admiral Koltschak) sowie in der Evakuierung der Tschechoslowakischen Legion über den Pazifik in ihre Heimat.



Über diese von allen Interventionsmächten (USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada u.a.) geteilten Ziele hinaus hatte Japan jedoch eine "hidden agenda": Die Japanisierung des russischen Fernen Ostens. Zu diesem Zweck wurden Siedlungskolonien gegründet (insgesamt ca. 50.000 Personen) - und eine davon, in Nikolajewsk am Amur, wurde durch einen "Zwischenfall" 1920 berühmt. Im März hatte eine Partisanenabteilung unter Führung des Anarchisten Triapizyn die Stadt umzingelt, in der es neben 350 japanischen und 300 "weißen" Soldaten auch 450 japanische Kolonisten gab. Als im Mai eine Entsatzexpedition der japanischen Armee eintraf, waren alle der vorgenannten entweder gefallen oder füsiliert worden. Dasselbe Schicksal sollte dann aber auch Triapizyn ereilen.



Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte das expandierende Japan seine begehrlichen Blicke auf diesen Teil der Welt geworfen und seither nicht davon abgelassen (siehe auch hier). Jetzt schien eine günstige Chance gekommen. Mit einem Truppenkontingent von rund 70.000 Mann - das war das Zehnfache der amerikanischen Truppen - waren die Japaner die uneingeschränkte Führungsmacht im Fernen Osten und in Sibirien sowie in den angrenzenden Gebieten Chinas. Diese militärische Macht wurde durch politisch-diplomatische Manöver abgesichert, etwa die Unterstützung für Grigorij Semjonow (das ist der im Lied besungene Ataman) und Robert von Ungern-Sternberg. Beide Männer verfolgten ihre eigene Agenda (Ungern-Sternberg ernannte sich z.B. selbst zum Diktator der Mongolei) und waren, bei Lichte betrachtet, nicht nur Separatisten, sondern überhaupt zwielichtige und ziemlich unappetitliche Figuren.



Angesichts dieser offensichtlichen Bedrohung durch die japanischen Okkupanten wie durch ihre blutrünstige Landsleute ist es nicht überraschend, daß sich aus den Einwohnern des russischen Fernen Ostens Partisanengruppen gebildet haben. Regionale Schwerpunkte waren das Amurgebiet, die Region Chabarowsk und Primorje. Die Organisation war, den Zeitumständen entsprechend, sehr divers, weshalb man eine alles bestimmende Rolle der Bolschewiki oder der Roten Armee wohl verneinen muß. Eine zentralere Führung durch die Streitkräfte der Fernöstlichen Republik war erst in der zweiten Periode des Konflikts (1920-1922) gegeben. Dazu kam die ethnische Heterogenität der Partisanen: Russen, Koreaner, Chinesen u.a. Völkerschaften waren vertreten; es gab in ihren Reihen sogar freigelassene deutsche und österreichische Kriegsgefangene. (Manche Gruppen dürften allerdings kaum besser als ordinäre Banditen gewesen sein.)



Im Februar 1919 sollen allein im Amurgebiet rund 10.000 Partisanen operiert haben. Ihre zumeist aus Kavallerie und Infanterie gemischten Abteilungen hatten in der Regel eine Stärke zwischen etwa 50 und 200 Mann. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen die Verbindungswege der Japaner. Der Schwerpunkt lag dabei auf Attacken gegen die Eisenbahnlinien, über die ja nicht nur die japanischen, sondern auch die weißen Truppen im Osten Sibiriens versorgt wurden. Von Februar bis Oktober 1919 sollen 327 Eisenbahnbrücken durch Partisanen zerstört worden sein. Sofern sich die Gelegenheit ergab, wurden allerdings auch japanische Garnisonen und ganze Städte angegriffen. Bis zum November 1919 verlor die japanische Armee bei diesen Kämpfen 572 Gefallene und 483 Verwundete; hinzu kommen 436 Soldaten, die infolge von Erkrankungen verstorben sind. Insgesamt verloren die Japaner während ihres Rußlandabenteuers über 5.000 Tote.



1921 gab es mit der von Japan unterstützten Gründung der sog. Küstenrepublik ein letztes Aufbäumen der weißen Bewegung im Fernen Osten. Doch diesem Versuch war nur eine kurze Dauer beschieden. Im September/Oktober 1922 verließen die japanischen Truppen als letzte der Interventionsmächte das russische Festland (Nordsachalin blieb bis 1925 besetzt) und im Dezember zog die Rote Armee in Wladiwostok ein. Die Partisanen vom Amur hatten gesiegt. In ihrem jahrelangen Kleinkrieg hatten sie nicht nur ihre weißen Gegner besiegt, sondern auch erheblich stärkere japanische Truppen aus dem Land geworfen. Für Tokio war die Intervention zu einer nicht mehr tragbaren Belastung geworden, die erhebliche finanzielle Mittel verschlang (insgesamt ca. 900 Mio. Yen).




Die ersten Bilder stammen aus amerikanischen und japanischen Quellen. Die letzten vier zeigen hingegen Partisanen sowie Soldaten der Roten Armee.
Bezeichnend sind die Fotos 1 bis 3 (s.o.) im Vergleich mit dem letzten. Alle sind in Wladiwostok entstanden: zunächst paradieren die Interventionstruppen, doch am Ende triumphiert die Rote Armee.






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Samstag, 12. Dezember 2009

Sowjetisch oder russisch?


Edward Lozansky hat kürzlich einen äußerst lesenswerten Text publiziert, den ich nachfolgend auszugsweise wiedergebe. Es geht dabei um die Frage, inwieweit es sich bei der Sowjetunion um einen multiethnischen Staat gehandelt hat, dessen politische Führung ebenso heterogen zusammengesetzt war. Und um die Frage, ob es dem heutigen Rußland obliegt, sich für die im Namen der Sowjetunion und des Kommunismus begangenen Verbrechen zu entschuldigen. Dabei wirft der Autor einen kritischen Blick auf die heute gängigen nationalen Klischees und schlägt eine Bresche für ein differenziertes Geschichtsbild.

Das ist ein sehr wichtiges Thema, zu dem ich schon seit Monaten selbst etwas schreiben wollte, was bis dato jedoch aus einem Mangel an Zeit unterblieben ist. Doch Lozansky hat mir diese Aufgabe nun freundlicherweise abgenommen. Besonders wichtig erscheint mir der letzte Absatz, wird die Situation insofern doch oft verfälschend dargestellt (siehe dazu z.B. auch hier):
"[...]

In his recent article in the Daily Telegraph (December 3, 2009) George Feifer suggests that “instead of trying to justify Soviet wrongs all these years later, why doesn't it [Russia] apologize, as Germany has for its 20th-century atrocities?” According to this author, apologies are due above all to the Baltic and East European countries.

As someone who for decades participated in many activities to resist the Soviet regime, standing shoulder to shoulder with people from the “Captive Nations” during their fight for freedom and independence, I believe that Feifer’s demands are misdirected, ill-timed and generally worthless, if not harmful.

Sadly, even respected and well-informed authors like Mr. Feifer still choose to confuse such distinct concepts as “Russian” (referring to ethnicity) and “Soviet” (describing a political affiliation or structure). I am sure Feifer is well aware of the difference but for some reason prefers to ignore it, joining the ranks of what is known as the Commentariat – folks who never miss a chance to bark at Russia, Moscow, or the Kremlin.

In my job as a university professor I am accustomed to repeating the same things over and over again, so I do not mind providing here an abstract of a History 101 course for the benefit of unbiased readers.

The Soviet Union or the USSR was formed in 1922 on the territory of the former Russian Empire after the 1917 Bolshevik coup, funded largely by the German General Staff, and the 1918-1920 Civil War in which the multiethnic Red Guards (whose Latvian riflemen and Chinese units were, by the way, among the most effective) eventually defeated just as ill-assorted White Guards (monarchists, Socialist Revolutionaries, Czech POWs, the Cossacks, and many others).

The Communist state that emerged from the Civil War was a dictatorship that committed many crimes against humanity, the absolute majority of the victims being the country’s own people. The USSR was composed of 16 (15 since 1956) republics which should share more or less equally the blame for these atrocities. Russia was just one of these republics or, as they were often called in the West, the “Captive Nations.” It was the largest of all 15 and, accordingly, it suffered the most in terms of human and material losses; anyone interested in these matters can easily check the figures.

The USSR’s ruling bodies – the Central Committee of the Communist Party, the Politburo, and others – were truly internationalist, that is, multiethnic, with members from all the republics, not just Russia proper, represented. General Secretary Joseph Stalin (Dzhugashvili), that most brutal and feared of all tyrants who ruled the Soviet Union from 1924 to his death in 1953, came from Georgia. So did Lavrenty Beria, for many years head of the secret police that terrorized the whole people and sent millions to the GULAG labor camps. So did Sergo Ordzhonikidze, Stalin’s friend and foe and for many years Politburo member. The universally feared KGB was mostly manned by Georgians absolutely loyal to their compatriots the top bosses. Given these facts, present-day Russia should demand an apology from the Georgian people NOW, according to Feifer’s logic. Needless to say this sort of nonsense does not even enter the heads of either the Russian people or the RF government, and Russia still gives jobs and shelter to about a quarter of Georgia’s entire population, whose relatives in Georgia make ends meet thanks to remittances from Russia. Those fraternal ties between peoples, so glibly mocked by Feifer, die really hard…

Feifer makes much of the fact that “Germany has admitted, and to a degree atoned for, its behaviour under Hitler,” inviting Russia to do the same. That’s the trouble with this comic strip school of history: it conveniently leaves out of account so many facts as to lend a kind of Martian aspect to what purports to be history.

[...]

And what about those home-grown fascists and collaborationists in many European countries? What about the Waffen SS divisions manned by citizens from the Baltic states, responsible for the murder of hundreds of thousands of Jews in the death camps on the territory of those states? It is common knowledge that these SS men are now treated in the Baltic states and Ukraine as national heroes, awarded fat pensions, decorated, and even have statues erected in their honor. Mr. Feifer must be aware of all this, yet he passes it over in complete silence, as if the Nuremberg trials had never taken place and as if the Soviets were the only side guilty of atrocities.

Just like the dominant ultra-nationalists in the Baltic states, Feifer has no other term except “occupation” for the 45 years during which these were part of the Soviet Union – Soviet Socialist Republics similar to the other twelve. Point one: the Soviets occupied the Baltic states and East European countries with the full blessing of the Western powers given at the Yalta conference of the Allies. And an even more important point: “foreign occupation” is a funny term to describe what actually took place in these states. There were powerful Communist parties (Lithuanian, Latvian, Estonian) in all three of the Baltic states, the population was thoroughly Sovietized by purely internal forces, to such an extent that ever so often prominent figures in the National Fronts and nationalist governments nowadays become victims of political scandals over their past association with the local KGB.

Then again, communists from these Baltic states were often highly prominent on the federal level. For example, Arvid Pelshe representing Latvia, was not just a Central Committee and Politburo member of many years standing: he was Chairman of the Committee for Party Control, that is, someone who could – theoretically – call to account any member of the Party, up to and including the general secretary. And another Latvian Rep. Boris Pugo, the all-powerful Interior Minister, Politburo alternate member and, most notoriously, one of the top members of the communist junta that led the abortive coup of August 1991.

[...]

The Soviet regime and its policies have been repeatedly condemned by Russia’s current top officials and the media, including government-run TV channels: these are positively filled with devastating documentaries and feature films describing the horrors of the Soviet era. It is interesting to note that the job of writing a comprehensive multi-volume modern Russian history was offered by the Kremlin to no one else but Alexander Solzhenitsyn, the person who, through his writings and public activities, has done more than any other man to bring down the Soviets. Due to his old age he passed this honor to Professor Andrei Zubov, known for his calls for Russia’s de-Communization similar to the de-Nazification of postwar Germany. His recently published work has won praises from many well-known scholars, including Richard Pipes and others who can hardly be charged with being Moscow’s appeasers or sympathizers.

[...]" vollständig lesen

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Donnerstag, 10. Dezember 2009

Ein Buch, von dem man besser die Finger läßt

In der Regel weise ich an dieser Stelle auf Bücher hin, die mir bemerkenswert erscheinen und die ich meinen Lesern empfehlen möchte. Heute soll - ausnahmsweise - vor einem Buch gewarnt werden, das ich für unsachlich und somit schlecht halte.

Wolfgang Leonhard gilt im deutschsprachigen Raum als einer der besten Kenner von Kommunismus und Stalinismus sowie der früheren Sowjetunion. Berühmt wurde er durch sein erstmals 1955 erschienenes Buch "Die Revolution entläßt ihre Kinder". So könnte denn mancher interessierte Zeitgenosse versucht sein, auch zu Leonhards neuesten Werk mit dem Titel "Anmerkungen zu Stalin" zu greifen. Davon will ich jedoch ausdrücklich abraten, denn die Faktenbasis, auf der seine Argumentation aufbaut, ist außerordentlich dünn.
Das Buch beginnt in etwa mit den gleichen Sätzen wie die Verlagswerbung:
"[...]

In Putins Russland feiert eine historische Figur ein erstaunliches Comeback: Bei einer Volksumfrage wurde Josef Stalin jüngst zum «größten Helden der russischen Geschichte» gewählt. In dem Land, in dem auch wieder die alte Stalin-Hymne gesungen wird, droht die Erinnerung an die Greuel zu verblassen, wird einer der schlimmsten Diktatoren des letzten Jahrhunderts gern in mildem Licht gesehen, als Patriot und Garant nationaler Stärke.

[...]"
Damit bedient Leonhard zwar die populäre These einer angeblichen Stalin-Renaissance im heutigen Rußland, allein, die von ihm dort als Belege für diese bedenkliche Entwicklung angeführten Tatsachen stimmen nicht!
Erstens: Aus der vor rund einem Jahr im Fernsehen durchgeführten Umfrage nach dem bedeutendsten Russen der Geschichte ging nicht Josef Stalin, sondern Alexander Newskij als Sieger hervor (siehe auch hier).
Zweitens: Bei der im Jahr 2000 eingeführten Nationalhymne der RF handelt es sich nicht um eine "Stalin-Hymne", sondern um die Kombination aus der alten (und sehr eingängigen) Musik von Alexander Alexandrow und dem neugedichteten Text von Sergej Michalkow. Die neue Hymne ist populär und hat das seit 1991 anhaltende, m.E. würdelose Gezerre um eine Nationalhymne für das postsowjetische Rußland beendet (zur Entwicklung vgl. hier). Glinkas "Patriotisches Lied" konnte nie Rückhalt im Volk gewinnen, zumal es über keinen Text verfügt. Letzterer ist für eine Nationalhymne jedoch von entscheidender Bedeutung, denn eine Melodie allein hat etwas beliebiges.

Wenn Leonhards Grundannahmen schon so falsch sind, wie soll denn in seinem neuen Buch daraus eine vernünftige und realistische Darstellung werden? Ich weiß es ehrlichgesagt nicht, denn nach der Lektüre der ersten Seiten habe ich es wieder weggelegt. Dennoch bleiben erhebliche Zweifel. Es ist nicht das erste Mal, daß mich Wolfgang Leonhard enttäuscht hat. Viele seiner in den letzten Jahren publizierten Bücher sind doch erstaunlich fade und blutleer; sie wirken wie der dritte oder vierte Aufguß seines Klassikers "Die Revolution entläßt ihre Kinder". Dazu kommen vielleicht auch gewisse Alterserscheinungen, vor denen auch der von mir sonst hochverehrte Peter Scholl-Latour nicht gefeit ist.

So will ich heute mit einem Rat an meine Leser schließen: Wer etwas von Leonhard lesen will, der ist mit seiner klassischen Arbeit von der Revolution, die ihre Kinder entläßt, mit Abstand am besten bedient. Seine "Anmerkungen zu Stalin" sind jedenfalls Geldverschwendung und dürften inhaltlich kaum über das in seinem Erstlingswerk bereits gesagte hinausgehen.


PS: Zum Schluß ein Video mit einer etwas rockigeren Version der soeben diskutierten Nationalhymne, interpretiert von der Gruppe "Ljube".




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Sonntag, 6. Dezember 2009

06.12.2009: Videos des Tages

Im Oktober haben in Moskau zwei wichtige Waffenmessen stattgefunden: Vom 15. bis 18. Oktober die Messe Oruzhie i ochota (dt.: Waffen und Jagd) und vom 27. bis 30. Oktober die Interpolitex 2009, die sich - wie der Name schon vermuten läßt - auf den Behördenmarkt konzentriert. Das erste beiden der folgenden Videos sind denn auch auf der Jagdmesse entstanden, wobei allerdings fast ausschließlich Gas- und Trauma-/RAM-Waffen vorgestellt werden. Das dritte Video vermittelt ein paar Eindrücke von der Interpolitex, so wird u.a. die neue Standard-Maschinenpistole der russischen Polizei, die PP-2000, ausführlich erläutert.










PS: Weitere Fotos von der Arms and Hunting finden sich hier, hier und hier; desgleichen von der Interpolitex hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.

Freitag, 27. November 2009

27.11.2009: Video des Tages

Heute begeht man in Rußland der "Tag der Marineinfanterie". Diese Waffengattung, deren Anfänge in der Zeit Peters des Großen liegen, wird in einem kleinen Video aus der Redaktion der Zeitschrift Bratischka gewürdigt.



Donnerstag, 26. November 2009

26.11.2009: Bilder des Tages


Vom 26. bis zum 28. November 1812 tobte in Weißrußland die Schlacht an der Beresina. Napoleons Grande Armee befand sich auf dem Rückzug, nachdem die Invasion des Russischen Reiches gescheitert war. Der Übergang über den Fluß Beresina mußte nicht nur erst von den französischen Pionieren hergestellt, sondern auch gegen ständige russische Angriffe erzwungen werden.
Besonders hervorgetan haben sich dabei die Schweizer Regimenter, die - der Reisläufertradition folgend - in Napoleons Diensten standen. An ihren Heldenmut erinnert das Beresinalied - so, wie der Löwe von Luzern an ihre Vorgänger im Dienst der französischen Könige.
An diese Schlacht soll mit den heutigen Bildern - Historiengemälden - erinnert werden.





Mittwoch, 25. November 2009

Kulturelle Differenz der Polizeigewerkschaften


Während sich in Deutschland Polizeigewerkschaften regelmäßig dazu bemüßigt fühlen, den privaten Waffenbesitz generell in Frage zu stellen oder zumindest den Schießsport für jugendgefährdend zu erklären, sieht die Welt ein paar hundert Kilometer östlich von uns schon wieder besser, vernünftiger aus. Zum Beispiel in Rußland. Dort veranstaltet der Veteranenverband der Antiterroreinheit "Alfa" alljährlich ein Schießsportturnier in Sarow. Und zwar keine geschlossene Veranstaltung für handverlesene Gäste, sondern einen offenen Wettkampf für alle Interessierten. Bilder von den Veranstaltungen 2007 und 2008 kann man hier und hier ansehen.


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Foto: www.alphagroup.ru.

Freitag, 20. November 2009

Montag, 16. November 2009

16.11.2009: Video des Tages

Das "Colours of Russia"-Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, medial vermittelten Stereotypen entgegenzutreten. Nachfolgend ein von ihm produziertes Video mit Bildern des kanadischen Fotografen Michael Hockney. (Während der ersten vier Minuten ist fast ausschließlich das geliebte St. Petersburg zu sehen. ;-))



Sonntag, 15. November 2009

Amerikanische Waffen für den Zaren

Von Umberto Eco stammt die Erkenntnis, daß man vor allem deshalb in eine Bibliothek gehe, um Bücher zu entdecken, von deren Existenz man zuvor nichts wußte. Bei einem solchen Gang durch eine große historische Bibliothek ist mir die Dissertation von Joseph Bradley aufgefallen: "Guns for the Tsar - American Technology and the Small Arms Industry in Nineteenth-Century Russia". Dieser Titel ist in Deutschland recht unbekannt; selbst Karl-Heinz Wrobel erwähnt ihn in seinem zweibändigen Standardwerk über die Entwicklung des Mosin-Nagant-Gewehrs nicht.

Dabei hat es Bradleys Schrift in sich. Im Jahre 1990 erschienen (also noch vor dem Ende der Sowjetunion), mußte er sich mit einem geschichtspolitisch unproblematischen Thema beschäftigen. Das hat Bradley jedoch gründlich getan und viele russische und amerikanische Originalquellen ausgewertet, um den amerikanischen Einfluß auf die Waffenindustrie des Zarenreiches darzustellen. Der wichtigste Name in diesem Kontext ist Samuel Colt, der als Person in Rußland großes Ansehen genoß und mehrfach vom Zaren zu einer Audienz empfangen wurde. Doch auch andere sind zu nennen.
Bradley hat sich allerdings nicht nur auf dieses enge Feld kapriziert, sondern behandelt ausführlich auch verwandte Aspekte: den Zustand und die Entwicklung der Waffenmanufakturen, die Entwicklung der Waffentechnik und des Militärwesens im allgemeinen sowie die politische Großwetterlage. Und zwar nicht nur auf Rußland bezogen, sondern immer auch im Vergleich mit dem Rest Europas und den USA. Der zeitliche Rahmen wird in etwa durch die Jahre 1850 und 1900 abgesteckt.

Damit ist das knapp 190 Seiten starke Buch ein "must-have", welches Informationen liefert, die ansonsten in deutscher oder englischer Sprache kaum zu bekommen sind. Daher lege ich die Lektüre allen an der russischen Waffengeschichte Interessierten sehr ans Herz.


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Dienstag, 10. November 2009

10.11.2009: Videos des Tages

Heute feiert Michail Timofejewitsch Kalaschnikow seinen 90. Geburtstag. Aus diesem Anlaß nachfolgend eine Dokumentation des russischen Fernsehens über sein Leben und Werk (mit englischen Untertiteln).
Wünschen wir dem Jubilar alles Gute und vor allem viel Gesundheit!










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Sonntag, 8. November 2009

"Selbstbestimmt"

Zu (auto-)biographischen Abhandlungen über das Leben und Wirken bedeutender Menschen habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Während die einen (z.B. Militärs) vielleicht durch ihre großen Taten beeindrucken, sind die Biographien vieler Männer des Wortes eher peinlich. Sei es, dass sie im täglichen Umgang kleinlich und streitsüchtig waren wie Schopenhauer, machtbewußt und herrschsüchtig wie Carl Schmitt oder schlicht geisteskrank wie Nietzsche. Deshalb ziehe ich es zumeist vor, diese großen Denker und Wissenschaftler nur durch etwas dauerhaftes, nämlich ihre Werke, auf mich wirken zu lassen. Das heute anzuzeigende Buch stellt insofern allerdings eine Ausnahme dar: „Selbstbestimmt – Ein Leben im Spannungsfeld von geteiltem Deutschland und russischer Politik“ stammt von Wolfgang Seiffert, einem Juristen, der mir schon vor Jahren durch seine bisweilen recht intimen und von großer Sachkenntnis geprägten Rußlandanalysen aufgefallen ist.

Was Seifferts Autobiographie so lesenswert macht, ist der Verlauf seines Lebens. Er hatte, wenn man so will, ein Talent dafür, sich zwischen alle Stühle zu setzen und gegen jeden Mainstream zu sein. Geboren 1926 in Schlesien, kriegsbedingtes Notabitur, gerät im Frühjahr 1945 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er nutzt dort die Möglichkeiten zur Fortbildung und lernt die russische Sprache. Angesichts seiner Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte verwundert es nicht, daß er 1949 in der UdSSR auf eine sog. Antifa-Schule geschickt wurde. Danach wurde er in die gerade gegründete Bundesrepublik entlassen.
Und die Politik wurde für ihn zu einem fesselnden Thema, welches ihn nicht mehr losließ. Namentlich die Frage nach der deutschen Nation, vor allem ihrer Einheit, zieht sich durch Seifferts ganzes Leben.

Anfang der 1950er Jahre engagiert er sich im westdeutschen Zweig der FDJ, überzeugt, den verwerflichen Entwicklungen der Regierung Adenauer entgegenzuwirken. Das brachte ihm dann einige Jahre Haft ein, aus der er allerdings entweichen und in die DDR fliehen konnte. Dort besteht er darauf, Deutscher und nicht DDR-Bürger zu sein und beginnt 1956 ein Jura-Studium an der Berliner Humboldt-Universität. Nebenbei unterhält ver weiterhin Kontakt zu seinen westdeutschen Genossen. Es folgt die übliche wissenschaftliche Laufbahn: Dissertation über ein arbeitsrechtliches Thema, später Habilitation. Seine Spezialisierung auf das internationale Privat- und Wirtschaftsrecht bringt ihm 1967 die Berufung zum Leiter eines neugegründeten Forschungsinstitutes.

Damit beginnt wohl sein Abnabelungsprozeß von der DDR-Führung. Er sieht Ulbrichts Wirtschaftsreformen scheitern und mit Honecker (einem seiner guten Bekannten aus Jugendtagen) einen Mann an die Staatsspitze treten, der nicht nur eine miserable Wirtschaftspolitik betreibt, sondern durch sein Beharren auf der Zweistaatlichkeit auch die deutsche Teilung vertieft. Sein Renommee und seine zahlreichen Kontakte in der wissenschaftlichen „Community“ bringen Seiffert 1978 schließlich einen Lehrauftrag an der Uni Kiel – und seinen Abschied von der realexistierenden DDR.

In Kiel spezialisiert er sich auf das osteuropäische Recht, wobei ihm seine Kontakte vor allem zu sowjetischen Kollegen weiterhelfen. Daneben wird er zu einem lautstarken Verfechter der deutschen Einheit – zu einem Zeitpunkt, als sich selbst viele Unionspolitiker mit der Teilung abgefunden hatten. Als sich 1989/90 sein Lebenstraum erfüllt, muß er allerdings auch mitansehen, wie arrogant sich einige westdeutsche Hochschullehrer gegenüber ihren Kollegen aus der früheren DDR verhalten. So konnte es vorkommen, daß ein „Wessi“ zuerst für die Entlassung eines vermeintlich „belasteten“ Professors sorgt, um sich danach selbst auf den freigewordenen Lehrstuhl zu setzen.

Die 1990er Jahre bringen auch für Wolfgang Seiffert neue Herausforderungen. Nach seiner Emeritierung nimmt er 1994 das Angebot an, das Zentrum für russisch-deutsche Zusammenarbeit am Institut für Staat und Recht der Akademie der Wissenschaften aufzubauen, wo er bis 2001 lehrte und russischen Studenten das deutsche und EU-Recht vermittelte. Während seiner Tätigkeit in Russland konnte er auch hier zahlreiche Erfahrungen sammeln, nicht nur unter Wissenschaftlern, sondern auch im Vorstand eines Unternehmens. Und im Jahr 2000 hat er eine der ersten deutschsprachigen Biographien des damals neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin verfaßt. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die letzten Seiten von Seifferts Buch, das im Jahre 2006 erschienen ist, mit den Verhältnissen in der RF beschäftigen, wobei sich seine Urteile erfreulich vom oberflächlichen deutschsprachigen Mainstream unterscheiden.

„Selbstbestimmt“ – so lautet nicht nur der Buchtitel, so hat Seiffert auch sein Leben geführt. Das macht seine Autobiographie ebenso lesenswert wie die „ausgeplauderte Interna“ aus DDR und BRD, die man sonst kaum irgendwo finden wird. Und Seiffert gezeigt, daß Juristen keineswegs immer staubtrockene Paragraphenreiter sein müssen. ;-) Am 15. Januar 2009 ist er in Hamburg verstorben.


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Samstag, 7. November 2009

07.11.2009: Video des Tages

Im Herbst 1941 rückte die deutsche Wehrmacht immer weiter in Richtung Moskau vor. Trotz der Bedrängnis fandt am 7. November die traditionelle Militärparade zum Tag der Oktoberrevolution auf dem Roten Platz statt. Die daran teilnehmenden Verbände, zum Teil soeben erst in der Stadt eingetroffen, marschierten danach direkt an die Front.
Seit einigen Jahren wird dieses denkwürdige Ereignis nachgestellt, großteils bestritten von Reenactmentgruppen und Offiziersschülern. Das heutige Video stammt aus dem Jahr 2008.



Montag, 2. November 2009

02.11.2009: Text des Tages

Gestern hatte ich die Fandorin-Krimis von Boris Akunin kurz vorgestellt, heute soll nun ein Auszug aus "Der Tod des Achilles" wiedergegeben werden. Der Text erinnert deutlich an die Werke Lermontows (siehe hier und hier) und schildert die Erziehung eines Jungen in den wilden Gegenden des Kaukasus zur Mitte des 19. Jahrhunderts:
"[...]

Den Säbel gab Hassan seinem Neffen nicht in die Hand; Arm und Schultern sollten erst noch wachsen. Aber einen Dolch schenkte er ihm gleich am allerersten Tag und wies ihn an, sich nie von ihm zu trennen: "Hänge ihn dir um den Hals, wenn du nackt in den Fluß steigst, um zu baden." Nach einiger Zeit war der Dolch für Ahimaaz zu einem Körperteil geworden, so wie der Stachel für die Wespe. Mit ihm konnte man Reisig fürs Feuer hauen, den erlegten Hirsch zum Ausbluten bringen und einen feinen Span schnitzen, um sich nach dem Hirschbraten in den Zähnen zu stochern. Am Rastplatz, wenn es weiter nichts zu tun gab, übte Ahimaaz Zielwerfen gegen einen Baum: im Stehen, Sitzen oder Liegen. Diesen Zeitvertreib bekam er nie über. Zuerst vermochte er nur eine Kiefer zu treffen, später auch schon eine junge Buche und am Ende jeden beliebigen Buchenast.

[...]" (S. 255)


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Bild 1: B. Cannarssa.

Sonntag, 1. November 2009

Fandorin ermittelt

Die erste Berührung mit den Werken Boris Akunins im allgemeinen und seiner Fandorin-Reihe im besonderen hatte ich durch den Spielfilm „Türkisches Gambit“. Seither habe ich einige dieser Kriminalromane gelesen und bin darob geradezu begeistert – was angesichts meines etwas gespannten Verhältnisses zur zeitgenössischen Literatur eine Überraschung ist. ;-)

Akunin, von Hause aus Japanologe (was durchaus mit in seine Schriften einfließt), hat mit den Fandorin-Büchern eine lose Folge historischer Krimis geschaffen, die im Rußland des ausgehenden 19. Jahrhunderts spielt. (Ein Zeitabschnitt, den ich - wie meine Leser vielleicht wissen werden - sehr interessant finde.) Der junge Held mit dem komisch wirkenden Namen Erast Petrowitsch Fandorin, sehr gebildet und von hoher Herkunft, aber ein wenig verarmt, arbeitet bei der Moskauer Polizei. Neben gewöhnlichen Kriminellen hat er es auch mit Bombenlegern und anderen „politischen“ Verbrechern zu tun. Seine Ermittlungen führen ihn häufig in die intriganten „besseren“ Kreise der russischen Gesellschaft.
Fandorin erscheint als ein typischer Vertreter seiner Zeit: für jeden technischen Fortschritt interessiert er sich ebenso wie für die „verwissenschaftlichten“ Formen der Kriminalitätsbekämpfung wie z.B. die Daktyloskopie. Ein Rezensent hat die Figur Fandorin gar als Mischung aus Sherlock Holmes und James Bond, aber mit russischer Seele, bezeichnet.

Akunin versteht es, spannend und flüssig zu schreiben, wobei er zudem mit seinen deutschen Übersetzern großes Glück hatte. Seine Bücher sind alles andere als langatmig und lassen auch beim Leser keine Langeweile aufkommen. Die Sprache ist gebildet und zugleich ein wenig (selbst-)ironisch, wie das folgende Zitat aus dem „Türkischen Gambit“ verdeutlicht (S. 23):
"[…]

Dafür sprach [der große Schriftsteller] wohlgesetzt und überzeugend: In der Tat sei die Unschuld ein lächerliches Vorurteil und die bürgerliche Moral widerwärtig, und der menschlichen Natur brauche man sich nicht zu schämen. Warja hörte zu, dann beriet sie sich stundenlang mit Petja, was zu tun sei. Petja fand auch, daß Keuschheit und Scheinheiligkeit Fesseln seien, die der Frau aufgezwungen würden, aber mit dem Großen Schriftsteller in physiologische Beziehungen zu treten, davon riet er ihr entschieden ab. Er ereiferte sich, argumentierte, daß der Schriftsteller gar nicht so groß sei, viele fortschrittliche Menschen hielten ihn gar für einen Reaktionär.

[…]"
Oder ein kleiner Seitenhieb auf die Journaille (im selben Buch auf S. 89):
"[…]

"Um ein gutes Feuilleton zu schreiben, muß man kein Thema haben", erklärte der Franzose. "Man muß nur gut schreiben können."

[…]"
So macht Lesen Spaß. :-) Ähnlich kluge Sentenzen finden sich zuhauf.
Mit den historischen Bezügen geht Akunin etwas freier um (schließlich sind es keine Sachbücher), doch sind alle wesentlichen Aspekte korrekt dargestellt, etwa hinsichtlich der komplizierten Polizeiorganisation oder der revolutionären Verschwörergruppen. Auch bei der Schilderung waffentechnischer Details hat sich der Autor viel Mühe gegeben. So werden z.B. unterschiedliche Revolver- und Pistolentypen ebenso vorgestellt wie deren verdeckte Trageweisen. Dazu kommen noch kleine Ausflüge in die fernöstliche Philosophie und - wie bei dieser Zeit und diesem Milieu nicht anders zu erwarten - jede Menge Ehrenhändel.

Die Fandorin-Bücher sind zwar mittlerweile zu Mainstreamkrimis geworden, dennoch bieten sie alles, was man von ihnen erwartet: historisches Flair, Spannung, intellektuelle Anregung, Action, überraschende Wendungen – kurzum: gute Unterhaltung. Für den Einstieg in die insgesamt 13 Titel umfassende Reihe eignet sich m.E. der zweite Band „Türkisches Gambit“ am besten. Sofern man daran Gefallen findet, sollte man mit dem ersten Band („Fandorin“) fortsetzen und sich danach den Folgebänden („Mord auf der Leviathan“, „Der Tod des Achill“, „Der Tote im Salonwagen“ usw.) zuwenden.



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Bilder: B. Cannarssa (1), E.K. (2).

Samstag, 31. Oktober 2009

31.10.2009: Videos des Tages

Unter den außerhalb Sankt Petersburgs gelegenen Residenzen nimmt Puschkin, das frühere Zarskoje Selo, wo sich im Katharinenpalast das (neue) Bernsteinzimmer befindet, eine herausragende Stellung ein. Desgleichen - zumindest im Sommer - Peterhof mit seinen berühmten Fontänen. Mir gefallen hingegen Schloß und Park von Pawlowsk am besten. Im klassizistischen Stil errichtet (dem ich mich ohnehin sehr verbunden fühle), ist Pawlowsk nicht so überlaufen wie die anderen Touristenmagneten, wovon die beiden heutigen Videos einen kleinen Eindruck vermitteln.







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Freitag, 30. Oktober 2009

Sicherheitspolitische Debatten in der RF

Auf (mindestens) einem Feld sind sich die USA und Rußland sehr ähnlich. Diskussionen, die - im weistesten Sinne - um die Themen Außenpolitik, Sicherheitspolitik und Militärwesen kreisen, finden eine breite Öffentlichkeit. Folglich existieren zahlreiche "Think-tanks" und selbständige Publikationen, die - natürlich in unterschiedlicher Qualität - dieses Bedürfnis nach öffentlicher Debatte zu befriedigen versuchen.
Dergleichen gibt es in Deutschland nicht. Neben staatlichen (z.B. SWP) oder indirekt vom Staat geförderten Publikationen und Einrichtungen (man denke insofern nur an alles, was über den Reservistenverband, die Parteistiftungen usw. läuft) gibt es nur noch die (oft ideologisch motivierte) Friedensbewegung mit ihren mehr oder weniger treffenden Analysen. Entsprechende Projekte, die nach dem 11. September auch an deutschen Universitäten aus dem Boden geschossen sind, haben es, soweit ich es überblicke, kaum geschafft, zu überleben.

Das ist in Rußland, wie gesagt, anders. Sicherheitspolitische Debatten werden mit einer Offenheit und Kontroversität geführt, wie ich sie in Deutschland bisweilen schmerzlich vermisse, wo es meist auf einen Gegensatz zwischen pazifistischen und "Die NATO ist toll"-Argumenten hinausläuft. Der soeben für die RF getätigte Befund paßt zwar nicht in das Bild der angeblich gleichgeschalteten Medien, die nur darauf warten, Putins Befehle auszuführen. Das Gegenteil ist der Fall, nicht nur bei dem hier behandelten Themenfeld. Als Beleg mag die heftige öffentliche Debatte um die seit etwas über einem Jahr laufende Militärreform dienen. Nachfolgend sollen die aus meiner Sicht wichtigsten Organisationen und Medien, die für diese Debatten eine Rolle spielen, vorgestellt werden.

1. Institutionen: Hier ist zuvörderst der Rat für Außen- und Verteidigungspolitik zu nennen, der recht offiziös daherkommt und in etwa mit der deutschen DGAP vergleichbar ist. Ferner das Zentrum für die Analyse von Strategie und Technologie, das Institut für politische und militärische Analyse, das Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der RAW, und das Institut für strategische Stabilität der Atombehörde Rosatom.
Dazu kommen noch kleinere, nur sporadisch sicherheitspolitische Fragen bearbeitende Denkfabriken sowie mehrere Lehr- und Forschungseinrichtungen des Verteidigungsministeriums und der öffentlichen Hochschulen.

2. Medien: Insoweit ist die Lage noch unübersichtlicher, denn zu den klassischen Medien kommen noch neue wie Internetzeitungen, Fachdiskussionsforen, Weblogs etc. hinzu.
In deutscher Sprache liefert RIA Nowosti täglich Nachrichten und Analysen zu sicherheitspolitischen Themen. Fast jede größere russische Zeitung verfügt über ein entsprechendes Ressort, stellvertretend sei hier die Netzzeitung Lenta.ru genannt.
Hinzu kommen spezialisierte Medien wie der Wojenno-promyschlennyj kurer, Arms-TASS, VPK.name und Oruzhie Rossii, deren Fokus auf der Rüstungsindstrie liegt. Die Webseite VKO.ru hingegen widmet sich exklusiv der Luftverteidigung.
Eine Sonderstellung nimmt die zur als liberal geltenden Tageszeitung Nesawissimaja Gaseta gehörende Wochenschrift Nesavissimoje Wojennoje Obosrenije ein. Sie berichtet regelmäßig und kompetetent aus allen Bereichen der Sicherheitspolitik, der Armee, der Nachrichtendienste, der Militärgeschichte usw. und ist m.E. derzeit das beste Medium auf dem Markt.
Nicht vergessen sollte man auch die Zeitschriften des Verteidigungsministeriums wie Wojennaja Mysl, das Wojenno-Istoritscheskij Zhurnal oder Wojennyj Diplomat. Desweiteren sollten die hier bereits vorgestellten Magazine nicht vergessen werden.
In englischer Sprache sind schließlich Russia in Global Affairs (eine Gemeinschaftsarbeit mit Foreign Affairs), der Moscow Defense Brief sowie die Dienste von Interfax zu erwähnen.

Und warum schreibt der Krenkel das jetzt? Ganz einfach: Dieser Tage bin ich auf ein Radioprojekt namens Westi-Arsenal gestoßen, welches eine der o.g. Denkfabriken betreibt. In den wöchentlichen Sendungen werden die unterschiedlichsten Themen behandelt. Am 26.10.2008 waren das z.B. die letzten Entwicklungen bei Handfeuerwaffen (siehe auch hier).
Aprospos Radio. Auf den meisten Fernsehkanälen in der RF laufen - ähnlich den US-Produktionen auf N24 - regelmäßig Reportagen über militärische Themen. Die bekanntesten dürften Udarnaja Sila und Wojennoje Delo sein - und viele Folgen sind auch bei Youtube & Co. zu finden.




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Samstag, 24. Oktober 2009

24.10.2009: Video des Tages

Heute wird in Rußland der "Tag der Spezialeinheiten", der "Spetsnaz", begangen. Wie die meisten anderen Waffengattungen, so haben auch ihre Angehörigen einen eigenen Ehrentag. Anläßlich dessen nachfolgend ein kleines Video aus dem Hause Bratischka.
Sa Was, sa nas i sa Spetsnaz! ;-)



Freitag, 23. Oktober 2009

Ostalgie ;-)


Es gehört zu den positiveren Hinterlassenschaften der DDR an das geeinte Deutschland, daß in ihr - gewissermaßen zwangsläufig - die Beschäftigung mit osteuropäischer Kunst und Literatur besonders gefördert wurde. So wurden etwa unzählige Bücher aus der Sowjetunion und anderen Mitgliedsstaaten von Warschauer Vertrag und RGW ins Deutsche übersetzt. Wie es sich gehört, waren darunter auch zahlreiche Berichte über den Zweiten Weltkrieg. Der Militärverlag hat solche u.a. in einer losen Reihe herausgebracht, wobei allein das Layout ein verbindendes Element darstellt (siehe Bilder). In ostdeutschen Antiquariaten sind diese Bücher meist zahlreich vertreten und preiswert erhältlich.

Mit der Auswahl sollte man jedoch vorsichtig sein. Denn einige dieser Schriften, insbesondere, wenn sie aus der SU stammen, sind schwer verdaulich. Entstanden noch vor Glasnost und Perestroika, war es für die sowjetischen Autoren nach wie vor selbstverständlich, die führende Rolle der Kommunistischen Partei zu betonen und in ideologischen Phrasen zu schwelgen. Selbst der große Heerführer Georgij Schukow, dessen zweibändige Memoiren mit dem einfallslosen deutschen Titel "Erinnerungen und Gedanken" (frei nach Bismarck ;-)) die bekanntesten in der hier vorzustellenden Reihe sind, ist (leider) nicht frei davon. So bleibt etwa der Bericht über die Schlacht von Chalchin Gol sehr abstrakt, kommt aber ohne den obligatorischen Kotau vor der Partei nicht aus.

Zwei weitere sowjetische Titel, die m.E. zu den lesenswerteren zählen, sind Viktor N. Leonow: "Auf Vorposten am Nordmeer" und Marina P. Tschetschnewa: "Der Himmel bleibt unser". Leonow berichtet von seinen Einsätzen als Aufklärer der Marineinfanterie an der Front vor Murmansk, in Norwegen und - 1945 - in Korea. Tschetschnewa war Pilotin in einem (nur aus Soldatinnen bestehenden) Nachtbomberregiment (vgl. auch hier und hier). Sie schildert ausführlich ihren Werdegang von den 1930er Jahren bis in die 50er Jahre hinein.



Meine persönlichen Favoriten stammen allerdings nicht aus der UdSSR, sondern aus Ungarn und Bulgarien: erstens Sandor Rado: "Dora meldet" und zweitens Elena u. Dobri Dshurow: "Operationsbasis Murgasch - Partisanen in den Wäldern des Balkans".
Beide Bücher sind spannend geschrieben und lesen sich wie Agentenromane, nur daß ihr Inhalt großteils der Realität entsprechen dürfte. Rado war als Agent des sowjetischen Militärnachrichtendienstes in der Schweiz eingesetzt und u.a. für die Gruppe "Rote Kapelle" zuständig. Sein Leben hat mich schon als Schüler fasziniert, beschreibt er doch, wie er - als überzeugter Kommunist! - in der Schweiz zu einem erfolgreichen Geschäftsmann geworden ist. ;-)
Die Dshurows schreiben ebenfalls eine sehr anschauliche Lebensgeschichte. Vom Leben im Bulgarien der Zwischenkriegszeit, vom Beginn ihrer politischen Tätigkeit, dann dem Weg in den Untergrund und dem zwiespältigen Leben als Partisan.

Das besondere an beiden Titeln ist, daß ihre Autoren zugeben, ein eigenes Leben jenseits der Kommunistischen Partei zu führen. Sie hatten natürlich auch persönliche Gedanken, Ideen und Emotionen - und teilen diese ihren Lesern mit. Das macht die Bücher lebensnah und authentisch, denn viele sowjetische Autoren haben ja so getan, als sei das Aufgehen des Einzelnen in der Gemeinschaft das höchste der Gefühle und haben ihre Schriften dementsprechend mit den üblichen ideologischen Phrasen verunstaltet. Doch in Ungarn und Bulgarien war man insofern wohl schon immer etwas anders. Natürlich waren auch Rado und die Dshurows Kommunisten, allerdings keineswegs in jenem doktrinären Sinn der späten Sowjetunion. Das macht ihre Autobiographien auch heute noch in zweifacher Hinsicht interessant: einmal als Berichte über den 2. WK, zum anderen als Dokumente über den Zeitgeist während der kommunistischen Ära in Osteuropa.


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